Raue Sehnsucht
Da ist Sie Ohne Absicht, ohne Ziel Sie ist einfach nur da Und gibt mir doch so viel »Die See«, Thomas Krause
Hier stehe ich jetzt. Schmerzen in den Knien von der langen Fahrt. Müde von der anhaltenden Konzentration auf meinem Weg durch die Adern unserer Zivilisation. Nach dem Verlassen der Autobahn erahne ich sie schon und nehme kurz vorm Ziel diesen eigentümlichen Duft wahr, der so charakteristisch ist für diese Gegend. Nur ein paar Schritte noch, dann ist sie da.
Das Tageslicht zieht sich langsam zu Gunsten der Nacht zurück. Der Wind bläst kalt und böig. Sandkörner streifen mein Gesicht, aufgeworfen von der Wucht dieses unsichtbaren Freundes. Ich friere, bin aber glücklich. Unbeweglich stehend, ohne diesen Moment, durch Worte oder unnötige Gedanken zu stören, starre ich hinaus aufs meine große Liebe, das Meer.
Trotz der kalten Witterung an diesem ungemütlichen Abend im Frühjahr wird es mir warm ums Herz. Wie ich es vermisst habe. Erst jetzt, wieder hier an der See stehend, begreife ich, wie groß meine Sehnsucht für diese raue, graue See doch war.
Jeder Ort hat seinen Reiz. In den Bergen ist es die Herausforderung einer abenteuerlichen Wanderung. Die klare, saubere Luft. Dort ergötze ich mich an den saftig grünen Wiesen, abgelöst von teils trostlos erscheinenden Geröllhalden auf meinem Weg zum Gipfel, der gekrönt von einer weißen Spitze aus Schnee hoch über mir liegt. Dort, im Hochgebirge, sind die Farben reduziert auf das nötigste Minimum an nutzbarem. Zurückgeworfen auf die grundlegenden Elemente.
An der See aber blüht das Herz auf, wenn ich diese, für manche unscheinbare, doch so faszinierende Natur wahrnehme. Hier bin ich frei. Hier ist Heimat. Der letzte Atemzug, er soll einst geprägt sein, vom kalten, salzigen Atem der See.
Zufriedenheit macht sich in mir breit, wie ich sie an keinem Ort erfahre. Jetzt, wieder hier am Strand stehend, umgeben von wilden Dünen, den Blick aufs Meer, welches sich in wachsender Dunkelheit der nahenden Nacht anzugleichen scheint. Nichts ist in diesem Augenblick wichtiger. Nur den Wind höre ich, der den Moment beherrscht, der die Brandung zum Tanz auffordert, mal sanft dahinschwebend, dann wieder fest stampfend auf dem Parkett der Küste. Bestehend aus Milliarden mikroskopischen Wassertröpfchen, vereint eine nahezu perfekte Symphonie spielend. Einzeln, machtlose Tröpfchen, zusammengeschlossen eine schier unaufhaltsame Kraft, die ganze Städte frisst, stellen diese sich in ihren Weg. Von einer Schönheit und Ästhetik, die inspiriert auf der einen Seite, kalt, brutal und rücksichtslos auf der anderen. Aber niemals böswillig, sondern nur existent. Vor mir liegend, in meinem Herzen lebend. Das Innerste belebend.